Willkommen

zur ersten und einzigen umfassenden digitalen Ausstellung
über „99 Luftballons“, einen der relevantesten und
außergewöhnlichsten Songs der Musikgeschichte:

Vom Song-Komponisten Uwe Fahrenkrog-Petersen präsentiert, wird die Entstehung und Bedeutung des Songs in den Jetzt-Raum geholt, um dessen weltweite Erfolgsstory zu erzählen und auch Licht auf die fantastische Geschichte der Berliner Band dahinter zu werfen, die den Song berühmt gemacht hat. Der Song entstand jenseits vom digitalen Zeitalter … als die ersten polyphonen Synthesizer Sounds die Plattenspieler, Kassettenrecorder und Radios zum vibrieren brachten, …als die Fans dieser Band aufgeregt wöchentlich zum Kiosk liefen, um News, Poster und Starschnitte in die Hände zu bekommen, …als zwei Supermächte sich gegenseitig, und damit allgegenwärtig der gesamten Menschheit, mit dem Untergang drohten.
Die Botschaft des Songs bleibt heute so aktuell wie damals. Im Gedächtnis vieler Menschen rund um den Globus bringt der Song noch immer emotionale Momente in Erinnerung und erschafft sie neu.

Vorwort

von Uwe Fahrenkrog-Petersen

Als ich im Herbst 1982 die Musik für „99 Luftballons” komponierte, ahnte ich noch nicht, dass es der international erfolgreichste deutsche Pop Song der Musikgeschichte werden würde und dass er heute, 35 Jahre später, rund um die Welt immer noch medial allgegenwärtig und relevant sein würde.

Für mich, ist trotz meiner vielen weiteren international erfolgreichen Songs „99 Luftballons“ immer noch der wichtigste Song meiner Karriere.

Der Song hat für viele Menschen rund um die Welt, wie kaum ein zweiter, eine ganz besondere Zeit ihres Lebens emotional definiert und die unglaublich positiven Reaktionen, die ich immer noch bekomme, machen mich immer wieder glücklich.

Leider ist mein guter Freund und Co-Autor des Songs, Textschreiber Carlo Karges inzwischen verstorben, aber „99 Luftballons” klingt weiter um die Welt und trägt auch sein künstlerisches Vermächtnis weiter.


Wie entstand der Song „99 Luftballons“?

1982 war ich, Uwe Fahrenkrog-Petersen, 22 Jahre alt. Es war der Höhepunkt des kalten Krieges und in meinem Wohnort West-Berlin waren wir mit unserer Band NENA sozusagen auf der „12″ der Zielscheibe eines täglich immer möglicheren Atomkriegs. Nachdem ich die Musik für unseren ersten Hit „Nur geträumt” geschrieben hatte, arbeitete ich konzentriert Tag und Nacht im Proberaum an meinem OB-X Synthesizer an neuen Sounds und Songideen. Inspiriert von Stevie Wonder hatte ich ein Unisono Synth Bass Riff komponiert, dessen knallharter Funky Sound mich wirklich begeisterte! …aber wie in alles in der Welt sollte dieser in einem 80iger New Wave Song funktionieren? Als ich ein paar Tage später im Auto zur Bandprobe fuhr, hatte ich eine wirklich tolle Melodie im Kopf, die mich nicht mehr losließ. Schnell nahm ich damit ein erstes Instrumental Demo auf Kassette auf, um sie nicht zu vergessen. Ich wusste, dass beides – das Funky Riff und auch die Melodie – wirklich außergewöhnlich waren. Aber wie sollte das zusammenpassen?

Ich erinnere mich noch ganz genau, wie ich stolz die zwei neuen Ideen bei einer Bandprobe unserem Schlagzeuger Rolf Brendel und unserem Bassisten, meinem langjährigen Mit-Musiker und Freund Jürgen Dehmel vorspielte. Jürgen war es, der mich ermutigte, es doch einfach mal zusammen zu spielen und es auszuprobieren. Er war sicher, dass das zusammenpassen würde… Und tatsächlich. Der Wechsel zwischen Halftime Funk und schnellem Punk Pop war zwar ungewöhnlich, aber hatte eine tolle Magie, die wir sofort spürten. Etwas später kam unser Gitarrist Carlo Karges – ein echter Poet, was Rock ’n’ Roll Texte betrifft – zur Tür herein und hörte, dass wir da etwas musikalisch wirklich Einmaliges spielten. Er hörte eine Weile fasziniert zu und stöberte dabei in seinem schwarzen Text-Ringbuch. Mit einem verschmitzten Lächeln eröffnete er uns, er habe vor ein paar Wochen einen Text geschrieben, der haargenau (!) auf meine neue Melodie passen würde:

Die Idee dazu war Carlo gekommen, als wir alle zusammen im Sommer beim Rolling Stones Open-Air Konzert in der Berliner Waldbühne (Sommer 1982) waren. Wie nach jedem Konzert ließen die Stones am Ende eine riesige Menge mit gasgefüllten Luftballons fliegen. Die Ballons würden wenige Minuten später auf den rund um Berlin stationierten Radarschirmen der russischen Raketenrampen auftauchen….

Würde die russische Radarüberwachung den Unterschied zwischen harmlosen Luftballons und einem Schwarm atomarer Kurzstreckenraketen so schnell erkennen können ODER würden sie den roten Knopf drücken, um einen Gegenschlag auszulösen und die Welt damit versehentlich in den Abgrund stoßen?

Im größeren Zusammenhang sah Carlo seinen Text aber auch als Metapher für die Paranoia und Angst, die oft unsere zwischenmenschlichen Beziehungen bestimme. Es war ein unglaublicher Zufall – ein Geschenk des Himmels: Carlos Text passte wirklich exakt auf meine Melodie, obwohl diese ungewöhnlich viele Noten hatte. Es gab nur ein Problem: Der ursprüngliche Text war zu lang! Es waren sechs lange Doppelstrophen!

Eine Strophe konnten wir schweren Herzens weglassen, aber für einen Popsong war es immer noch viel zu viel Text – das könnte musikalisch langweilig werden… Ich hatte eine gute Idee:

Wir würden den Anfang und den Schluss ohne Drums, Gitarren und Bass machen. Nur mit epischen Synthesizer Akkorden, sozusagen als Vor- und Nachwort. Das probierten wir gleich aus und der Song gewann dadurch nochmal musikalisch an Dynamik und der Text an Ausdruckskraft. So entstand der Song zusammen mit dem Text an diesem einen Nachmittag im Proberaum.

Unsere Sängerin Gabriele Kerner, genannt „Nena” (wir hatten die Band nach ihrem Spitznamen benannt – der Bandname „Blondie“ diente als Vorbild) war auch sofort begeistert und tief bewegt. Ihre Stimme mit der punkigen Mädchen-Attitüde passte perfekt zu der tiefsinnigen Geschichte und der energiestrotzenden Musik. Wir waren sicher und stolz, dass dies ein ganz besonderer Song geworden war. Also brannten wir darauf diesen Song als neue Single mit unserem ersten Album herauszubringen. Unsere Plattenfirma CBS sah das damals aber ganz anders! Sie wollten den Song auf keinen Fall als Single machen, denn er erfüllte überhaupt keine der „sonst üblichen Kriterien“ für einen Hit-Song:

„99 Luftballons” hatte nicht mal einen Refrain und am Anfang einen ewig langen Instrumental Teil. Solch ein Song könnte niemals im Radio erfolgreich sein?

Wir blieben dickköpfig und obwohl unsere Plattenfirma sicher war, das wir unseren gerade zuvor mit „Nur geträumt” erkämpften Erfolg damit nun wieder beerdigen würden, ließen sie uns den Song veröffentlichen.

Der Rest ist Musikgeschichte.

Uwe Fahrenkrog-Petersen

„99 Luftballons“

Songtext von Carlo Karges

[Strophe 1]

Hast Du etwas Zeit für mich?
Dann singe ich ein Lied für Dich
Von 99 Luftballons
Auf ihrem Weg zum Horizont
Denkst Du vielleicht grad’ an mich?
Dann singe ich ein Lied für Dich
Von 99 Luftballons
Und dass so was von so was kommt

[Strophe 2]

99 Luftballons
Auf ihrem Weg zum Horizont
Hielt man für UFOs aus dem All
Darum schickte ein General
’Ne Fliegerstaffel hinterher
Alarm zu geben, wenn’s so wär
Dabei war’n da am Horizont
Nur 99 Luftballons

[Strophe 3]

99 Düsenflieger
Jeder war ein großer Krieger
Hielten sich für Captain Kirk
Es gab ein großes Feuerwerk
Die Nachbarn haben nichts gerafft
Und fühlten sich gleich angemacht
Dabei schoss man am Horizont
Auf 99 Luftballons

[Strophe 4]

99 Kriegsminister
Streichholz und Benzinkanister
Hielten sich für schlaue Leute
Witterten schon fette Beute
Riefen Krieg und wollten Macht
Mann, wer hätte das gedacht?
Dass es einmal soweit kommt
Wegen 99 Luftballons

Wegen 99 Luftballons
99 Luftballons

[Strophe 5]

99 Jahre Krieg
Ließen keinen Platz für Sieger
Kriegsminister gibt’s nicht mehr
Und auch keine Düsenflieger
Heute zieh ich meine Runden
Seh’ die Welt in Trümmern liegen
Hab’ ’nen Luftballon gefunden
Denk’ an Dich und lass’ ihn fliegen

Sensation für alle Fans des Songs!

Das bisher noch nie veröffentlichte Original „Ur-Demo” von „99 Luftballons”,

„Die Melodie ist auf dem Ur-Demo noch in C-Dur. Später habe ich den Song nach E-Dur verlegt, was ein besserer Range für den Gesang und die Gitarren war. Ich wollte nur die Melodie und die Akkorde schnell festhalten, die mir im Auto, auf dem Weg ins Studio, die ganze Zeit durch den Kopf gegangen waren: Also programmierte ich einen simplen Beat und eine Sequenz auf meinem “Fricke“ Step Sequencer. Dazu spielte ich live meinen Oberheim OB-X und nahm alles zusammen auf 2 Spuren eines Tascam 4 Spur Kassettenrecorders auf. Die Akkorde habe ich danach auf den verbleibenden 2 Spuren overgedubbt. Einige Tage später habe ich zusammen mit der Band, wie beschrieben, mein zuvor komponiertes Synthie Riff hinzugefügt.“

Uwe Fahrenkrog-Petersen

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Produktion

Die Band NENA nahm „99 Luftballons” zusammen mit den anderen Songs ihres gleichnamigen ersten Albums „NENA“ im Herbst 1982 im „Spliff“-Tonstudio Berlin-Moabit auf. Das Produzenten Team Reinhold Heil und Manne Praeker hatte keinen allzu schweren Job: Da die Band bestens geprobt und vorbereitet war und den Song schon perfekt arrangiert hatte, verblieb die Aufgabe eine geniale Performance aus den Bandmusikern herauszuholen und einen wilden grandiosen Sound zu mixen, ohne die Magie des Songs mit Produktionstechnik zu überschatten. Dies gelang den beiden Produzenten und Mixingenieur Udo Arndt. Während die Tracks im „Spliff“-Studio von Ingenieur Imre Sereg auf einer 24 Spur Otari Bandmaschine über ein Soundcraft Pult aufgenommen wurden, wurde der Song im Audio Tonstudio Berlin von Udo Arndt auf einem Solid State Logic Pult gemischt.

Der Song beginnt mit einem epischen, minimalistischen Intro von Uwe Fahrenkrog-Petersen am Synthesizer und „Nena“ Kerners Gesang, die das Publikum mit der grandiosen ersten Zeile von Carlo Karges’ Text: „Hast du etwas Zeit für mich / dann singe ich ein Lied für dich“ sofort emotional in den Song holt. Für den darauffolgenden legendären funky Instrumental-Part kreierte Uwe den ikonischen Sound des Riffs auf seinem Oberheim OB-X Synthesizer, und da dieser schon sehr fette Bassfrequenzen hatte, entschied sich Jürgen Dehmel am Bass dafür mit Funk-Slaps zu antworten und ansonsten nur die Down-Beats zu betonen. Carlos rockige Funk-Gitarre, inspiriert von Steve Stevens, erzeugte den sich zur Strophe aufbauenden Drive und Rolf Brendel sorgte mit seinem straighten heavy Drum Groove à la John Bonham für den perfekten Beat. Die Strophen, mit der schnellen harten 8tel Gitarre von Carlo, spielte Rolf dann mit der durchgängigen Hi-Hat, um dann bei den Refrains (wie auch schon beim Refrain von „Nur geträumt“) seinen Signature-Beat mit nur noch Bassdrum und Snare zu spielen.

Die musikalische Schwierigkeit, in der Mitte des Songs wieder zurück in den Half-Time Funk-Part zu kommen, meisterte Uwe mit einem an „Earth, Wind and Fire“ erinnernden Synthie Brass Break. Die Energie des Songs steigert sich dann zum Schluss hin immer weiter, angetrieben von einem solistischen Basslauf, der in ein Ostinato mündet, und „Nenas“ Vocal Adlib „99 Luftballons“, bevor der Song dramatisch wieder mit dem Brass Break abschließt.

Die letzte besinnliche Strophe gehört wieder „Nenas“ eindringlicher Stimme und Uwe am Oberheim Synthesizer. Carlo beendet den Song mit einem Bottleneck Slide auf der Gitarre, als Paraphrase für den letzten in den Himmel aufsteigenden Luftballon, dem Symbol für Hoffnung und Liebe.

Musiker:

Rolf Brendel: Schlagzeug

Jürgen Dehmel: Bass

Uwe Fahrenkrog-Petersen: Keyboard

Carlo Karges: Gitarre

Gabriele Susanne Kerner: Vocals

Recorded:

SPLIFF Studio Berlin-Moabit,
Herbst/Winter 1982

Mixed:

Audio Studio Berlin-Lichterfelde
Mix Engineer: Udo Arndt

Technical Team:

Producer: Reinhold Heil, Manfred Praeker

Sound Engineer: Imre Sereg

Die Geschichte der legendären Band NENA (1982-1987)

die international erfolgreichste deutsche Pop-Band

Die Geschichte der Band NENA ist eine in der deutschen Musikgeschichte einmalige Erfolgsstory….
Anfang der 80iger Jahre war vor allem in West-Berlin das Zentrum einer neuen deutschsprachigen Pop-Musikkultur entstanden, die endlich innovativ und qualitativ mit den angloamerikanischen Pop-Musikimporten mithalten konnte: Die „Neue Deutsche Welle“ hatte die altbackenden deutschen Medien überrollt und zum ersten Mal gab es eine Chance für junge deutsche Bands in den Charts erfolgreich zu sein und damit ein breites Publikum zu finden.

Bands wie die „Nina Hagen Band“ (später: „Spliff“) oder „Ideal“ hatten deutschsprachige Texte salonfähig gemacht – es herrschte Aufbruchsstimmung.

Uwe Fahrenkrog-Petersen (Synthesizer) und Jürgen Dehmel (Bass) waren zwei aufstrebende junge Berliner Musiker, die zum Ende der 70iger Jahre ihre ersten lokalen Erfolge und LP Produktionen in Berlin mit ihren Bands „Odessa“ und „Katia“ gefeiert hatten und jetzt Anfang der 80iger Jahre in der boomenden Berliner Musikszene ihre Chance auf den großen Durchbruch suchten. Die kam von unerwarteter Seite. Im Winter 1980/81 bekam Uwe ein Angebot als Keyboarder für eine kleine Club-Tour mit den „Stripes“. Die „Stripes“ waren eine junge Band, um ihre Sängerin Gabriele Kerner (Spitzname „Nena“) aus der westdeutschen Provinz (Hagen), die ein englischsprachiges Album bei der Plattenfirma CBS herausgebracht hatte. Das Album war nicht erfolgreich gewesen und die Band hatte sich verkracht. Aber CBS wollte der jungen Sängerin noch eine Chance geben: Sie sollte es nochmal mit deutschsprachigen Songs versuchen.

Dazu schickte CBS „Nena“ Kerner und ihren Freund den „Stripes“ Schlagzeuger Rolf Brendel nach Berlin zu den „Spliff“-Musikern, dem Produzenten Team Reinhold Heil und Manne Praeker und deren legendärem Manager Jim Rakete. Erst war aber noch eine kleine Club-Tournee mit dem englischen „Stripes“ Programm zu machen. Dazu sollte auch erstmals ein Keyboarder den „Stripes“ Sound modernisieren. Da Uwe Fahrenkrog-Petersen in Berlin schon einen guten Namen als innovativer Keyboarder hatte, wurde er von anderen Musikern empfohlen und es kam zu einem ersten Treffen zwischen „Nena“ Kerner, Rolf Brendel und ihm im Winter 1980/81 in einer unbeheizten Ladenwohnung in Berlin Schöneberg, in der „Nena“ und Rolf aus Geldmangel übernachtet hatten. Hier trafen zwei Welten aufeinander: Uwe, geprägt vom extrovertierten Stil der Berliner 80iger Musikszene und „Nena“ und Rolf aus der Kleinstadt Hagen in ihren selbstgestrickten Pullovern. Uwe war skeptisch, nahm aber den Job an, weil er das Geld für ein Synthesizer Case brauchte.

Die kleine Tour aber überzeugte Uwe vollends davon, dass hier ein riesen Potential schlummerte, weil „Nena“ bei den Live-Auftritten eine einzigartige Wirkung auf das Publikum hatte. Da „Nena“ und Rolf nach einem neuen potentiellen Hit-Song für eine Single-Produktion mit dem Spliff-Produzenten Team suchten, schrieb und produzierte Uwe Anfang 1981 die Musik für zwei Songs, die seine musikalische Vision definierten: Die musikalische Idee des „Post-Punk“-Sound war ganz bewusst gewählt. Sie gründete sich künstlerisch auf Andy Warhols Aufhebung der Grenzziehung zwischen autonomer und trivialer Kunst und der dadaistischen Idee des absoluten Individualismus und der Zerstörung von gefestigten Idealen und Normen.

So schuf Uwe die beiden Songs „Nur geträumt“ und „Ganz oben“ als minimalistische, elektronische Pop-Kompositionen, die auch das Vorbild für den späteren Sound der Band werden würden. „Nena“ und Rolf, waren begeistert von Uwes Songs und obwohl sie bis dahin noch nie auf Deutsch getextet hatten, schrieben sie zwei tolle Texte dazu. Spliff, Jim Rakete und CBS erkannten das Hit-Potential und gaben grünes Licht für die Single Produktion.

Uwe, „Nena“ und Rolf standen als Bandmitglieder des neuen Projektes fest, aber es fehlten noch ein Gitarrist und ein Bassist. Uwe schlug seinen alten Freund und genialen Multi-Instrumentalisten Jürgen Dehmel für den Bass vor, der sich gleich perfekt einfügte und der Band zusätzlich wertvolle künstlerische Impulse gab. Als letzter stieß bei den Studioaufnahmen ein alter Freund von „Nena“ und Rolf dazu, der erfahrene Songschreiber und Gitarrist Carlo Karges, der u.a. schon bei „Novalis“, „Extrabreit“ und „Ulla Meinecke“ gespielt hatte. Damit war die Band komplett und Rolf und „Nena“ zogen nach Berlin und zunächst bei Uwe ein, um zusammen an weiteren Songs arbeiten zu können. Jürgen und Uwe stellten den technisch perfekt ausgerüsteten Proberaum von „ODESSA“ in Berlin-Charlottenburg zur Verfügung, sodass die Band nun auch einen Ort zum täglichen Proben und Arbeiten hatte – das sollte sich wenig später auszahlen.

Die Band hatte aber immer noch keinen Namen…

In Ermangelung einer besseren Idee und wegen der offensichtlichen Einprägsamkeit, entschied sich die Band und Manager Jim Rakete dafür, als Bandnamen den Spitznamen „Nena“ der Sängerin Gabriele Kerner zu verwenden. Wie bei Debby Harry und „Blondie“. Allen Beteiligten war bewusst, dass es eventuell für das Publikum irreführend sein könnte und dass viele hinter dem Bandnamen NENA eine Solo-Künstlerin vermuten würden. Aber man vertraute darauf, dass man dies in der Außenwirkung durch eine deutliche Information in der Presse richtig stellen könnte. Eine fatale Fehleinschätzung wie sich bald herausstellte. So startete die Band mit Rolf Brendel (dr), Jürgen Dehmel (bass), Uwe Fahrenkrog-Petersen (keyb), Carlo Karges (gt) und „Nena“ Kerner (voc) als NENA im Frühjahr 1982, mit ihrer ersten Single „Nur geträumt“ (Musik: Uwe Fahrenkrog-Petersen / Text: „Nena“ Kerner/ Rolf Brendel). Die Single lag aber wie Blei in den Regalen der Plattenläden bis sich durch Zufall im Sommer wegen der kurzfristigen Absage eines Acts ein Platz in einer TV-Musiksendung zum Thema „Neue Deutsche Welle“ anbot. Die Chance ließ sich die junge hungrige Band nicht entgehen und spielte mit ihrem legendären „MUSIKLADEN“ TV-Auftritt die gesamte etablierte Konkurrenz an die Wand.

Bereits am nächsten Tag war „Nur geträumt“ von NENA überall ausverkauft und stürmte unaufhaltsam an die Spitze der Charts.

Die Band hatte inzwischen fleißig an neuen Songs gearbeitet und schon längst das Material für ein Album zusammen, was dann auch innerhalb von nur drei Wochen wieder mit dem Spliff Produzenten-Team Reinhold Heil und Manne Praeker im Herbst/Winter 1982 im Spliff Studio in Berlin-Moabit von der Band NENA eingespielt wurde. Fünf Songs und auch die meisten Texte des Albums stammten von Carlo Karges („Vollmond“, „Es regnet“, „Indianer“, „Ich bleib im Bett“, „Noch einmal“) – wobei die Musik für die wichtigen Single-Auskopplungen („99 Luftballons“, „Leuchtturm“, „Nur geträumt“) von Uwe Fahrenkrog-Petersen komponiert wurde. Alle Bandmitglieder steuerten musikalisch tolle Songs und Ideen bei: „Nena“ zusammen mit Uwe bei „Leuchtturm“ und “Nur geträumt”, Rolf Brendel mit Uwe bei bei „Zaubertrick“,„Nur geträumt” und bei „Kino“ oder Jürgen Dehmel bei „Satellitenstadt“ (mit Carlo) und „Tanz auf dem Vulkan“ (mit Carlo und “Nena”), was deutlich belegte, dass hier eine organische, künstlerisch gleichberechtigte Band zusammengewachsenen war, in der jeder eine unersetzliche Funktion hatte:

Carlo war die Seele der Band, Uwe der musikalische Kopf, Jürgen der künstlerische Tüftler, Rolf der ausgleichende Puls und „Nena“ das Gesicht und die Stimme der Band. Das erste Album mit dem Bandnamen, mit simplen Titel „NENA“, erschien Anfang 1983 mit der zweiten Single „99 Luftballons“. Das Lied, das ein musikalisch und textlich ungewöhnlicher Anti-Kriegs-Song war, eroberte sofort das Radio und die Spitze der Charts  und übertraf sogar den phänomenalen Erfolg des Vorgängers „Nur geträumt“. Nun schwappte der Erfolg der Band auch ins benachbarte europäische Ausland. Eine ausverkaufte Tour und eine Flut von Goldenen und Platin Schallplatten aus ganz Europa – das NENA-Album hatte dank des internationalen Erfolgs von „99 Luftballons” auch die Spitzen der Charts erobert und machte die Band zu Superstars.

Allerdings wurde es gleichzeitig immer schwerer in jedem neuen Land neu zu erklären das NENA der Name der Band und nicht der Solokünstlerin „Nena“ war. Intern hielten die Band und Manager Jim Rakete aber weiter fest zusammen und entschieden als Gegenmaßnahme keinerlei Einzelfotos der Bandmitglieder mehr zu autorisieren. Obwohl die Band nun fast täglich für TV-Auftritte und Tourneen quer durch Europa unterwegs war, schaffte sie es wieder ein tolles zweites Album betitelt mit „?“ im Herbst/Winter 1983 mit dem „Spliff“-Team in Berlin aufzunehmen. Die erfolgreiche erste Single dieses Albums – der Titeltrack „?“ (Fragezeichen) – war musikalisch wieder von Uwe Fahrenkrog-Petersen komponiert, der Text kam diesmal von Sängerin „Nena“ Kerner. Das Album erreichte Platz 1 in Deutschland und in einigen anderen europäischen Ländern und die nachfolgende Europa-Tour 1984 wurde zum Triumphzug für die Band.

Inzwischen war auch die USA aufgewacht: Der bekannte K-ROQ Los Angeles Radio Kult-DJ Rodney Bingenheimer hatte „99 Luftballons” (auf deutsch!) in seiner Show gespielt und auf Anhieb so viele positive Reaktionen erhalten, dass er ihn in seine Playlist aufnahm. Von dort aus wurde der Song wegen des Anti-Kriegs-Themas, das vor allem die jungen Menschen in den USA bewegte, von einigen großen College-Radiostationen übernommen. Der große Durchbruch kam mit dem TV-Spielfilm Event „The Day After“, der in den USA zum ersten Mal das Szenario eines Atomkriegs der Supermächte und die katastrophalen Folgen für beide Seiten bedrückend realistisch darstellte. Im Anschluss an den Film zeigte der TV-Sender das Video von „99 Luftballons” und der Song, der in den USA offiziell gar nicht zu kaufen war, hatte eine solche Wirkung auf das Publikum, dass er sogar als „Import“ in die US Billboard Charts einstieg.

Jetzt wurde die US-Plattenfirma EPIC endlich auf den Song aufmerksam und eine offizielle Single-Version – A-Seite auf Englisch, B-Seite auf Deutsch – und ein Album mit Songs beider LPs der Band wurden veröffentlicht. In kürzester Zeit erreichten die Single und das Album die Spitze der Charts – die Single sogar „Gold Status“ (über 1 Mio. Verkäufe). Der Erfolg der Band NENA in den USA war das Startsignal für den Rest der Welt. Von Australien über Japan und Asien bis nach Südamerika erreichte „99 Luftballons” die Spitze der Charts in 52 Ländern. Sogar im sonst den deutschen Künstlern eher „arrogant“ gegenüber stehenden Großbritannien war die Single drei Wochen lang die Nr. 1 der offiziellen Charts.

Der weltweite Erfolg mit ständigen internationalen TV-Auftritten und Tourneen (England, Frankreich, Japan u.v.a.) hatte natürlich Auswirkungen auf die Band. Sie waren jetzt internationale Stars, täglich auf einer Bühne mit den ganz großen englischen und amerikanischen Superstars wie Prince, Duran Duran, Phil Collins etc. und sie orientierten sich natürlich nun an vielen neuen Einflüssen, die vom Publikum in Deutschland zu der Zeit nur schwer nachvollziehbar waren. So war das dritte Album der Band „Feuer und Flamme“, das in London, Berlin und Ibiza von Reinhold Heil produziert wurde, und die von Uwe Fahrenkrog-Petersen und Carlo Karges stammende Single „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ zwar immer noch ein großer kommerzieller Erfolg, aber für viele Fans von der Produktion her zu groß und zu aufwendig für „deutsche Verhältnisse“ und damit schwer verdaulich. Außerdem hatte nach nun fast drei Jahren unablässiger Dauerberichterstattung durch TV und Presse eine Übersättigung beim Publikum eingesetzt, für welche die Band, die bis dahin alles versucht hatte dem „Overkill“ durch die Presse zu entgehen, nicht verantwortlich war.

Die Band genoss während dessen fernab von Deutschland den internationalen Erfolg – (z.B. Uwe Fahrenkrog-Petersen arbeitete inzwischen in Los Angeles als Songschreiber für das Prince Management) und zog sich dann, fernab von Paparazzi und Fans, nach Nord-Italien ins Studio zurück, um sich musikalisch wieder auf die Wurzeln zu besinnen. Dort entstand, produziert von der Band zusammen mit dem “5ten Beatle“ Klaus Vormann, das Album „Eisbrecher“. Obwohl das Album tatsächlich eine gelungene Rückkehr zu alten Band-Qualitäten bedeutete und es mit „Jetzt bist du weg“ (Musik: Uwe Fahrenkrog-Petersen / Text: „Nena“ Kerner) und „Zusammen“ (Carlo Karges) auch wieder zwei typische NENA-Band Klassiker enthielt, war das Album gemessen an den früheren Verkaufszahlen kein großer Erfolg. Die Band hatte nicht musikalisch, aber kommunikativ den Kontakt zu den Fans verloren. Die Presse überbot sich nun in hämischen Stories über die Band. Uwe, Carlo, Rolf, Jürgen und „Nena“ fühlten sich zutiefst missverstanden und wollten sich dieser Häme nicht aussetzen. Dieser Moment ist eigentlich typisch für eine so steile internationale Karriere und es wäre der Moment gewesen, wo gute Berater der Band eine Auszeit verordnet hätten. Doch die gab es zu diesem Zeitpunkt im Umfeld der Band nicht mehr.

Die Band trennte sich nicht wirklich. Jeder ging einfach seinen Weg.

Die Sängerin der Band „Nena“ Kerner wurde von der Plattenfirma CBS erwartungsgemäß zu einem Vertrag als Solokünstlerin angeworben, was zu dieser Zeit ein erfolgreiches Geschäftsmodell war. Sie übernahm den Bandnamen für ihre Solokarriere, was bis heute dazu führt, das man den unglaublichen internationalen Erfolg der Band NENA oft fälschlich der Solokünstlerin „Nena“ Kerner zuschreibt, obwohl alle großen Hits (z.B. „Nur geträumt“, „99 Luftballons“, „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“, „Leuchtturm“ etc.) aus der Zeit und der Feder der Band stammen. Ohne Uwes Gespür für Hit-Songs und die Chemie ihrer NENA-Bandkollegen konnte „Nena“ als Solokünstlerin viele Jahre lang nicht mehr an die großen Banderfolge anknüpfen. Carlo Karges versuchte immer wieder die Band zusammenzubringen – er starb 2002. Auf seiner Beerdigung verabredeten sich Uwe und „Nena“, auch im Gedenken an Carlo, die alten Hit-Songs der Band NENA noch einmal neu und diesmal mit „Nena“ Kerner als Solokünstlerin aufzunehmen.

Uwe arrangierte und produzierte das Album „Nena feat. Nena“ in Berlin und Bremen (Co-Produzent/Mixer: Jeo Mezei) und es wurde 2002 zu einem Riesenerfolg, der in Deutschland sogar noch die Verkaufszahlen des ersten NENA-Bandalbums übertraf. Dieser phänomenale Erfolg mit dem Remake der alten NENA-Bandsongs dient bis heute der Solokünstlerin „Nena“ als Grundlage für eine erfolgreiche Solokarriere. Uwe Fahrenkrog-Petersen produzierte anschließend in 2005 das erste erfolgreiche Solo-Studioalbum von „Nena“ mit dem Titel „Willst du mit mir gehn“ (Co-Produzent/Mixer: Jeo Mezei). Zusammen mit „Nena“ Kerner  schrieb Uwe Fahrenkrog-Petersen dafür die zwei größten Hits ihrer Solo-Karriere „Liebe Ist“ und „Willst du mit mir gehn“.

Als Highlight ihrer Solo-Konzerte singt „Nena“ weiter, begleitet von einer wechselnden Band von hochkarätigen US- und deutschen Studiomusikern und auch von ihren Kindern, die großen Hits der NENA-Band Zeit… als Rolf, Jürgen, Uwe, Carlo und „Nena“ von Berlin aus das bis dato unmöglich Geglaubte, und bis heute in Deutschland nie wieder Erreichte, schafften und als Band gemeinsam die ganze (Pop)-Welt eroberten.

Auszeichnungen und verkaufte Tonträger:

„99 Luftballons” von der Band NENA und die englische Version „99 Red Balloons“ erhielten in den 80iger Jahren als „Single“ Goldene Schallplatten aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Kanada, Holland, Dänemark und Deutschland. Auf über 40 internationalen Gold- und Platin-Alben war der Song weiterhin enthalten.

Seitdem sind diverse NENA-Band „Best-of-Alben“ und Cover Versionen veröffentlicht worden und der Song ist auch weiterhin einer der meist gestreamten deutschen Pop Songs bei Amazon, Spotify und Apple Music. Insgesamt kommt „99 Luftballons“/„99 Red Balloons“ damit auf über 10 Millionen physische und digitale Verkäufe.

Die ehemaligen Bandmitglieder heute

arbeitet als international erfolgreicher Komponist und Produzent wieder in seiner Heimatstadt Berlin an musikalischen Großprojekten, die Show und Musik zu einzigartigen Erlebnissen verschmelzen.

Walhalla ULTD.

Wüstenblume das Musical

New Atlantis Projekt

wohnt seit etwa acht Jahren nicht weit vom Nordseestrand entfernt. Bei geöffnetem Fenster kann er das Gekreische der Möwen erahnen. Nachdem er in den 80iger Jahren einer „prophetischen Eingabe“ folgend den NENA-Song „Kino“ schrieb, traf er zehn Jahre später Anja, seine heutige Frau, die ein Kino in Cloppenburg betreibt. Er ist dann gleich da geblieben…

Mit einigen Freunden spielt er in verschiedenen Bands Schlagzeug und hat ein kleines Tonstudio, in dem er zur Zeit 80iger-Jahre-Songs komponiert, Texte schreibt und Musik produziert. In einer dortigen Schule coacht er zusammen mit einer Kollegin die Schulband.

ist Berlin als seiner musikalischen Heimat bis heute treu geblieben. Neben weiteren Kooperationen mit Uwe Fahrenkrog-Petersen („Terra X: Atlantis“), „Nena“ Kerner („Wunder geschehen“ und div. Kinderalben) war er auf Welttournee mit Nina Hagen und weiterhin als Produzent, Komponist sowie als Studio- und Livemusiker aktiv.

Heute engagiert er sich in verschiedenen Bandprojekten wie „Zwanzich15“, „Sherman Noir & The Highway Surfer“ und „Bernward Büker“ und ist gern gesehener Gast bei diversen Studio- und Live-Projekten. Er bleibt Vollblut-Rockbasser und eine Instanz nicht nur in der Berliner Musikszene. Privat zieht es ihn mit Familie und Freunden oft in die Natur und ans Wasser. Nach wie vor ist er technikaffin und fliegt mit seiner Drohne durch die Lande und über die Dächer von Berlin.

www.facebook.com/zwanzich15

www.facebook.com/sherman.noir

www.facebook.com/stoertebueker

hat sich nach der Trennung der Band 1987 eine Karriere als Solokünstlerin, Werbe-Ikone und TV-Moderatorin aufgebaut. Seit dem Erfolg des Solo-Albums „Nena feat. Nena“ (2003), mit dem Remake der großen Hits der NENA-Band,  ist sie als Solokünstlerin mit Tourneen und Veröffentlichungen wieder sehr erfolgreich.

www.nena.de


Carlo Karges starb in 2002.
Er war ein brillanter,beseelter Songwriter und Gitarrist, der in seiner Karriere nicht nur in der Band NENA, sondern auch bei „Novalis“, „Extrabreit“, „Ramblers“, „Tomorrows Gift“, „Ulla Meinecke“ und „Bleibtreu Revue“ wirkte. Er schrieb u.a. die Texte für „99 Luftballons“ (NENA) und „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann“ (NENA) oder „Wer Schmetterlinge lachen hört“ (Novalis). Vor allem aber war er ein liebevoller, tiefsinniger und wertvoller Mensch – ein echter Freund und wahrer Rock ’n’ Roll-Poet. Er bleibt unvergessen.

www.discogs.com/artist/451811-Carlo-Karges

Soziokulturelle Bedeutung

von Dr. Lutz Fahrenkrog-Petersen // Geschäftsführender Direktor Forschungszentrum Populäre Musik // Humboldt Universität zu Berlin

Begriffe und zugleich Floskeln wie „Am Puls der Zeit“, „Trend“, „Mode“ oder „der Spiegel der Gesellschaft“ versuchen in späterer Zeit das Geschehene als relevant für den Moment zu beschreiben. Doch verschwimmt in diesen oberflächlichen Rechtfertigungen nur zu oft die Verbundenheit der Musiker mit Ihrer Umgebung, deren Teil sie sein müssen, um ehrlich und eindeutig das auszudrücken, was allen Menschen in Ihrer Nähe und in der Ferne ihres Kulturraums auf der Seele brennt. „99 Luftballons“ ist nicht nur deshalb ein Hit geworden, weil es ein „schönes“ Lied war, sondern gerade deshalb, weil es auszusprechen vermochte, was gesagt werden musste, was nur in der Musik gesagt werden kann: die Wahrheit; ohne politisches Kalkül, ohne taktische Umschweife.

Es war wie vereinbart zwischen den Menschen und den Musikern, dass dieses Lied entstehen musste, und die Botschaft war eindeutig: Bitte zündet unsere Welt nicht an, es wird nichts mehr bleiben!!

Carlo Karges war ebenso ein Teil des Lebens in der Angst zwischen den Großmächten erdrückt zu werden, wie auch Uwe Fahrenkrog-Petersen. Beide wählten weder den oberlehrerhaften Ton der Protest-Songs früherer Jahre noch die brachiale Gewalt des Punk, der erst kurz vorher mit seiner Fuck-You-Attitüde die kapitalistische Welt zum einstürzen bringen wollte. Der Weg der Autoren war einfacher, direkter und frei von eigener Gewalt oder Hass. Carlos Sprache mag teils kindlich wirken, doch bringt sie die Wahrheit messerscharf auf den Punkt: „99 Kriegsminister, Streichholz und Benzinkanister…“

Auch musikalisch strömt deutlich mehr Zuversicht als bedrückende Traurigkeit aus. Das Lied ist kompositorisch aus drei sehr unterschiedlichen Teilen gebaut, die auch im Tempo und Rhythmus stark kontrastieren, ohne jedoch dabei den Faden des Liedes zu verlieren. Das Schwanken zwischen Gedankenverlorenheit und Optimismus wird so zur modernen Programmmusik.

Eines war damals dem Publikum klar, hier wird das ausgesprochen, was wir denken, und zwar so wie wir es uns wünschen: Wir hätten gerne eine Zukunft.

Die Sehnsucht nach Zukunft, war angesichts der verherrenden Folgen des 2. Weltkriegs und des Vietnam Krieges unglaublich stark, besonders vor dem Hintergrund eines möglichen Atomkriegs, der in der Luft lag. Der TV-Film „The Day After“ brachte die Atom-Apokalypse in die amerikanischen Wohnzimmer und im Anschluss lief das „99 Luftballons“-Musikvideo. So wurde dem Lied eine weltweite Verkopplung mit der Angst vor einem Atomdesaster und der Sehnsucht nach einer Zukunft zuteil, die bis heute anhält. Vor allem Filmemacher, die das Gefühl der 80iger Jahre in Erinnerung rufen wollen, bedienen sich gerne dieses Liedes, da es exemplarisch für diese Zeit geworden ist, eben auch durch die mediale Reproduktion, die wiederum auf die tatsächliche Verbreitung und Einbettung des Liedes in das Leben der 80iger zurückgeht. Gerade den Colleges und Universitäten war das Lied bekannt und reihte die Band in eine Szene mit REM oder Bob Dylan ein. Hier bricht ein interessanter Spalt zwischen Realität und gesellschaftlicher Zuordnung auf. Die Band NENA war in Deutschland ein klassischer Pop-Act und begann ihre Bekanntheit mit dem Lied „Nur geträumt“, was weit entfernt vom politischen Gewicht eines Michael Stipe oder Bob Dylan erscheinen mag. In den USA war die gesellschaftliche Realität der Band NENA und dem Lied „99 Luftballons“ jedoch eine andere. Sie wurde direkt und fokussiert mit dem Inhalt des Songs, der ihn umgebenen medialen Realität des Films und der aktiven Friedensbewegung, identifiziert. So stellen sich die zwei Ebenen des Liedes als parallel und abhängig dar: der tägliche Gebrauch als Radio-Pop-Hit und die Bedeutungsebene, die bei den Hörern inneren Wiederhall fand.

Oft fragt man sich, warum das eine oder andere Lied Jahrzehnte überdauert oder warum so mancher Tophit so schnell in Vergessenheit gerät. Der Schlüssel hierzu liegt unter anderem darin, wie stark ein Lied wirklich relevant für die Menschen der Zeit gewesen ist und inwieweit das auch von späteren Generationen als verbindendes Element in diese Zeit angesehen wird, um exemplarisch und verbindend reproduziert zu werden.

Nicht das alle vergessenen Lieder schlecht gewesen wären, aber sie waren eben nicht so wichtig. „99 Luftballons“ war es und wird es bleiben.

Der Song heute:

„99 Luftballons” ist der international erfolgreichste deutsche Pop-Song. Er gilt als zeitbestimmende Stilikone der 80iger Jahre und wird seit 30 Jahren, bis heute immer wieder, rund um die Welt in Filmen, TV Shows oder Werbung zelebriert.

Dokumentationen

Die Entstehung des Textes von 99 Luftballons

Interpretationen anderer Künstler:

Der Song wird und wurde immer wieder von internationalen Künstlern neu interpretiert. Hier eine kleine Auswahl: